Joseph Isidor SCHNABEL
13 Nov 1842 - 4 Dec 1908 @ Wien, Niederösterreich
s/o __________ Schnabel & _______________
husband of Mathilde Standthartner

Österr. Biographisches Lexikon:

Schnabel (Joseph) Isidor, Ophthalmologe.

Geb. Neubydzow, Böhmen (Novy Bydzov, Tschechien), 13.11.1842; gest. Wien, 4.12.1908.

Sohn eines Kaufmanns; most Stud. nach Ablegung der Matura in Prag ab 1859 Med. an der Univ. Wien, u.a. bei E.W. v. Brücke (s.d.), 1861/62 an der Univ. Prag und wurde 1865 in Wien zum Dr. med. und Dr. chin prom., 1869 Mag. obstet.

Arbeitete 1865 als Aspirant am Allg. Krankenhaus in Wien, im Krieg von 1866 bei der Nordarmee, 1866-68 als Sekundararzt 2., 1869/70 1. Kl. bei E. Jaeger v. Jaxthal (s. d.), dessen Abt. er mehrmals suppl., und habil. sich 1871 für Augenheilkde. 1877 als o. Prof. der Augenheilkde. an die Univ. Innsbruck berufen, fungierte er dort 1880/81 und 1881/82 als Dekan, kam 1887 als o. Prof. an die Univ. Graz, 1891 an die Dt. Univ. Prag und übernahm schliessl. 1895 als Ordinarius die I. Augenklinik der Univ. Wien.

S[chnabel] gestaltete die Arbeitsstätten an den von ihm geleiteten Kliniken aus, richtete u. a. Operationssäle ein und reformierte das augenärztl. Stud. durch Einbeziehung der Ophthalmoskopie und der Funktionsprüfung des Auges. In seinen stets frei gesprochenen Lehrveranstaltungen suchte er Wesen und ursächl. Verbindung der Erscheinungen zu verdeutlichen und konnte während seiner Grazer Zeit eine Abänderung der Rigorosenordnung durchsetzen. Die oft im Gegensatz zu allg. vertretenen Ansichten stehenden Ergebnisse seiner Forschungstätigkeit veröff. er in ca. 40 meist nur kleinen Mitt. und fand damit oft nicht die verdiente Beachtung.

S[chnabel], der als Operateur ein neues Verfahren zur Behandlung der Lideinstülpung entwickelte, beschäftigte sich v. a. mit dem durch intraokularen Druck entstandenem Glaukom, das er in vielen Fällen als primäres Sehnervenleiden - neurit.

Atrophie - ansah. Er machte eher genet. Faktoren als die Schädlichkeit der Naharbeit für die Entstehung der Kurzsichtig ken' verantwortlich, die er auch nicht als Folgezustand des Akkomodationskrampfes ansah. Als erster vertrat er die Unterscheidung zwischen Schulkurzsichtigkeit und Staphyloma posticum, der Ausbuchtung der Hülle des Augapfels am hinteren Augenpol, wie er auch zwischen angeborener und erworbener Netzhautatrophie differenzierte. In späteren Jahren beschäftigte er sich mit der Symptomatol. des Schielens, das er als Anomalie der Statik erkannte.

Er war begeisterter Wagnerianer und mit Mathilde, der Tochter des Wr. Mediziners Josef Standthartner, eines Freundes Wagners, verehel. S[chnabel], ein hervorragender Diagnostiker, Meister der Ophthalmoskopie sowie mitreissender Lehrer, fand auch öff. Anerkennung, so wurde er 1890 Präs., 1891 Vizepräs. des Ver. der Ärzte in Stmk., 1897 Tit. HR, 1898 w. HR. Mit krit., philosoph. geschulter Geistesschärte sowie durch mit log. Konsequenz geführte Gedankengänge entdeckte er nicht nur bald die Schwächen theoret. Deduktion in Arbeiten anderer, sondern verlieh seinen eigenen Werken mit grosster'Prägnanz des Ausdrucks vollendete Form, wie er auch als bester Redner seiner jeweiligen Fak. galt. Noch in seinen letzten Jahren setzte er diese Gabe als Verfechter der "Freien Schule" ein. Sein Werk wurde durch seine namhaftesten Schüler Anton Elschnig und Hans Lauber fortgesetzt.

W.: "Zur Lehre von den Ursachen der Rurzsichtigkeit", in: Graefe's Archiv für Opthalmol. 20/2, 1874;
"Beitrr. zur Lehre vom Glaukom 1-3", in: Archiv für Augen (-und Ohren) heilkde. 6-7, 1877-78, 15, 1885,
engl. in: Archives of Ophthalmol. 7,1878, 16,1887;
"Ueber Macular-Colobom, physiolog. Excavation und angeborenen Conus", in: Wr. Medizm. Bll. 7, 1883;
"Ueber ein neues operatives Verfahren bei Entropium als Folge von Trachom im Vernarbungsstadium", in: Allg. Wr. Medizin. Ztg. 34, 1889;
"Ueber die Methode klin. Forschens und Lernens", in: Prager Medicin. Ws. 20, 1895;
"Kleine Beitrr. zur Lehre von der Augenmwkellähmung und zur Lehre vom Schielen", in: Wr. klin. Ws. 12, 1899;
"Schule und Kurzsichtigkeit", in: Wr. Medizin. Presse 47, 1906;
Die Freie Schule, was sie ist und was sie will, (1907);
usw.

L.: WMW 58, 1908, Sp. 1773:
H. Lauber, in Wr. klin. Rundschau 51, 1908, S. 815f.;
C Hirsch, In: Prager Medizin Ws. 33, 1908, S. 801ff. (mir Werksverzeichnis);
Casopis lekaru ceskych 47, 1908, S. 1525;
S. Klein, in: Wr. Medizin Bll 31, 1908, S. 601ff.;
J. Hirschberg, in: Centralbl für prakt. Augenheilkde. 32, 1908, S. 354ff.;
A. Elschnig, in: Dt. Arbeit 8, 1908/09, S. 461ff. (mit Bild und tw. Werksverzeichnis);
ders., in: Klin. Monatsbll für Augenheilkde. 47, 1909, S. 1688ff. (mit Bild und Werksverzeichnis);
H. Lauber, in: Z. für Augenheilkde 21, 1909, S. 90ff (mit Bild),
A. v. Reuss, in: Inauguration Wien 1909/10, 1909, S. 26ff. (mit Werksverzeichnis);
K. H. Schirmer, fn: WMW75, 1925, Sp. 1674;
J. Meller, ebenda, 85, 1935, Sp. 893r.~:;
ders., in: Wr. klin. Ws. 48, 1935, S. 622ff;
Mifl. des Sudetend,. Archirs 93, 1988, S. 50; Biograph. Jb. 13,1910, S. /4'ff., Sp. 82f (roten/iste);
Fischer; Hirschberr, Ceschichie der AugenheilEde., 1918, ,§ 1245, S. 403ff. (ml, fw. Werksverzeichnfs);
Jew. Enc.; Lesky, s. Reg., bes. S. 482ff. (mit Bildern);
Pagel; Wininger; Medizin. Deutschland 3, 1902 (mit Biid);
W. J~oerting, Due Dt. Univ. in Prag. Due letzten 100 Jahre fArer IKedizin. Fak. (&emdash;Schriftenr. der Bayer. Landes~rztekanuner 11), 1968, S. 233;
100 Jahre Medizin. Fak. Innsbruck 1869-1969, hrsg. wn r. Huter, 2 (- Ver~: der Univ. Innsbruck 17/2),1969, s. Reg., bes. S. 385f. (mit Bild),
P. Rustler Personalbibliographien der Prof. und Doz. der Augenheiiide.... der aft. Karl-Ferdinands-Univ. fn Prag ... 1880-1900, (1971), S. 25ff.;
R Fellner - W. Hoflechner, Die Augenheflkde. an der Univ. Graz ~ ~ PubL aus dem Archiv der Univ. Craz 2), 1973, S. 40~:, 149f., 16`, (mat Bild und tw. Werksverzeichnfs),
W Hofleeiner, in. Tradition und Herausforderun~, hrsg. wn JC Frefsitzer u. a, 1985, S. 118 (mit Bild);
UA Wien.

( Lauber )

Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog. Herausgegeben von Anton Bettelheim.
XIII. Band vom 1. Januar bis 31 Dezember 1908. (Berlin, DR: Bruck und Verlag von Georg Reimer, 1910).

pp. 145-146: "Schnabel, Isidor, Ophthalmologe, * 14. November 1842 in Neubidschov in Böhmen, Ý 4. Dezember 1908 in Wien.&emdash;Fruh reif, maturierte er mit 17 Jahren am Prager Grabengymnasium, absolvierte das medizinische Universitätsstudium in Wien und Prag und wurde an der Wiener Universität am 14. März 1865 promoviert. Nach kurzem Studium an der chirurgischen und medizinischen Klinik in Wien wurde er Schüler Eduard von Jaegers, bald dessen Mitarbeiter. 1871 habilitierte sich Sch. an der Wiener Universität für Augenheilkunde, und bald zog der junge Gelehrte die Aufmerksamkeit der Fachgenossen auf sich. Auf Grund scharfsichtiger Beobachtungen, kritischer Sichtung des gesammelten Materiales und logischer Induktion wagte er es, an den feststehendsten Säulen der Ophthalmologie zu rütteln. Für Sch. gab es kein Paktieren mit der herrschender Lehre, keine Kompromisse, wenn er Neues gefunden. Er hat nie versucht, zwischen den eingewurzelten Dogmen der herrschenden Lehre und seinen neuen Lehren dem Verstande eine Brücke zu bauen. So war und ist Sch. auch heute noch vielen, die seine Bedeutung nicht zu erfassen vermogen oder verstehen wollen, 'ein Hain am Wegessaum' (Lenau). "1877 wurde Sch. als Professor der Augenheilkunde, Nachfolger Mauthners, des älteren Jaeger-Schülers, den er an Leistung und Erfolg bald gewaltig übertraf, nach Innsbruck, Mai 1887 nach Graz berufen. Mai 1891 übernahm er die durch das Scheiden Sattlers verwaiste Lehrkanzel an der Prager deutschen Universität, um endlich im Mai 1895 an die Stätte seines ersten Wirkens, nach Wien, zurückzukehren. 1898 wurde er zum Hofrat ernannt. Mitten in voller Schaffenskraft, auf dem Höhepunkte seiner Leistungen und seines Erfolges, wurde er, ohne Vorboten, auf dem Wege zur Klinik von jähem Tode ereilt.

"Sch's Wirken als Lehrer der Augenheilkunde bedeutet einen Markstein der Geschichte des ophthalmologischen Unterrichtes. Er hat zuerst das Gesamtgebiet der Augenheilkunde unterrichtet, er hat an allen deutschen Hochschulen ¨Österreichs den Unterricht in der Ophthalmoskopie und in den optischen Fehlern des Auges, welche Spezialzweige kurzsichtige Fachgenossen den Spezialisten vorbehalten wissen wollten, eingefuhrt: widerwillig ist man ihm gefolgt, aber heute ist die ganze ophthalmologische Welt von der Unentbehrlichkeit der genannten Teildisziplinen für den Arzt überzeugt.

"Dem Unterrichte hat sich Sch. mit glühender Begeisterung hingegeben. Der tiefe Gedankenreichtum, die plastische, vollendete Form seiner Vorträge haben sie oft weit über den Rahmen klinischen Unterrichtes hinausgehoben, haben dem Schüler nicht nur Belehrung, sondern auch Anregung zu weiterem Forschen gegeben. Sch. war der größte Meister der Rede, den ich gekannt.

"Sch's wissenschaftliches Wirken gehört nicht der Vergangenheit an, es ist die Gegenwart der Ophthalmologie. Ein abschließendes Urteil darüber wird die Zukunft bringen, aber schon heute beginnt in dem Lieblingsarbeitsfelde Sch's, in der Glaukomlehre, die Saat, die er gelegt, zu keimen, und ich glaube kein falscher Prophet zu sein, wenn ich es ausspreche, daß in Jahren die volle Bedeutung seiner Forschungen über das glaukomatöse Sehnervenleiden erst anerkannt werden wird. Seine Schatten wirft dies Ereignis schon voraus.

"Neben dem Glaukom waren die Kurzsichtigkeit und die Lehre vom Schielen Lieblingsstu dien Sch's Besonders die letztgenannten Arb ei ten , die zweifellos zu dem besten gehören, was uns die Neuzeit der Ophthalmologie gebracht, werden erst, wenn der persönliche Kampf erloschen sein wird, als Grundpfeiler unseres Wissens anerkannt werden.

"Wahrhaftigkeit und das ernste Streben nach Vollkommenheit gaben dem Leben Sch's das Leitmotiv, Pflichterfüllung und Arbeit die Harmonie. Unbeeinflußt und unbeirrt durch die Meinung der Welt ging er seinen Weg. Er war der treueste Freund, der verläßlichste Charakter. Wenige haben ihn ganz gekannt, wer ihm näher trat, wer ihn kennen lernte konnte ihm Hochachtung und Bewunderung nicht versagen, auch wenn er sein Freund nicht wurde. Nicht schwanken wird sein Charakterbild in der Geschichte."

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